Friday, April 3, 2015

Westfalen-Blatt zu 200 Jahre Bismarck

Unsere Politiker seien farblos und austauschbar, heißt es oft. Otto von Bismarck war das jedenfalls nicht, er war das Gegenteil davon: ein eitler, kühl kalkulierender Macht- und Karrieremensch, ein Frauenheld und gleichzeitig ein Ehemann, der seiner Johanna von Puttkamer 1000 Briefe schrieb, die sich manchmal wie Poesie lesen. Hätte es zu seiner Zeit das Fernsehen, die politischen Magazine und die Boulevardblätter in dem Ausmaß wie heute gegeben, Bismarck hätte die Sendeminuten und Seiten problemlos gefüllt. Er wusste, wie man Aufmerksamkeit auf sich zieht – zum Beispiel durch provokante Sätze wie: »Nicht durch Reden und Majoritätsbschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.«


Zwar ist es problematisch, einen Staatsmann aus dem 19. Jahrhundert an der Jetztzeit zu messen. Trotzdem sei die Frage erlaubt: Taugt der Eiserne Kanzler als politisches Vorbild für die Gegenwart? Nein. Bismarck bekämpfte demokratische Bestrebungen und hatte auch für nationale Gefühle wenig Verständnis. Er instrumentalisierte beide Strömungen nur, um 1871 ein einheitliches Deutschland von oben, also ohne das Volk, zu schmieden. Und das mit dem Ziel, die Regierungsform der Monarchie und die Vormachtstellung Preußens zu erhalten.


Damit leitete Bismarck das ein, was Historiker den »deutschen Sonderweg« nennen. Weil der Adel und die Offiziere herrschten, und mit Abstrichen noch die Großgrundbesitzer und die Großindustriellen, bestimmten Autoritätshörigkeit und Militarismus das Kaiserreich. Der Mangel an demokratischer Kultur machte es der Weimarer Republik schwer und Hitler leicht. Dagegen war die Vereinigung Deutschlands 1990 von unten eingeleitet – nicht durch Kriege, sondern durch friedliche Demonstrationen.


Bismarck war ein Politiker, für den der Zweck die Mittel heiligte. Mit der von ihm gekürzten Emser Depesche verschärfte er die diplomatische Krise zwischen dem Norddeutschen Bund unter Preußens Führung und Frankreich noch, anstatt sie zu entschärfen. Bismarck, aber auch Napoleon III., riskierte bereitwillig den Krieg, den Frankreich 1871 verlor.


Zu Bismarcks Stärken gehörte die Fähigkeit vorauszuschauen. Nach dem Sieg über Österreich 1866 hielt er den preußischen König von Eroberungen ab, und nach 1871 predigte er mitten im Nationaltaumel Mäßigung. Deutschland brauche keine Kolonien in Afrika, betonte er im Zeitalter des Imperialismus.


Innenpolitisch fällt Bismarck als Vorbild für heutige Politikergenerationen aus. Er betrieb Klientelpolitik, verteidigte zäh die Privilegien des Landadels und spielte die gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander aus. Katholiken gegen Protestanten, Arbeiter gegen Industrielle. Bismarck vergiftete – wenn auch natürlich nicht allein – das Klima in der Gesellschaft: Deutschland war nach seinem Tod 1898 ein Staat, in dem sich die Klassen unversöhnlich gegenüberstanden.


Westfalen-Blatt






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